Zentralasien – Kasachstan, Kirgistan, Usbekistan


 - Reisetagebuch von Ulrike Benkart -

 

 

Freitag, 1. August 2003

Genau genommen begann die Reise mit einer Fahrt nach Berlin. Diese war nötig geworden, um die Reisepässe von Kersten und mir abzuholen, die auf dem Postweg keine Chance gehabt hätten, da das kirgisische Visum erst am selben Tag in den Pass gestempelt worden war. Diese Verzögerung lag jedoch nicht an der kirgisischen Botschaft, sondern vielmehr daran, dass die Organisation unserer Reise zu spät begonnen hatte.

Johannes und ich machten uns also auf den Weg nach Berlin. Einen Teil der Strecke wollten wir mit Fahrrädern zurücklegen. Daher fuhren wir mit unseren Rädern im Gepäck über Schwerin nach Berlin – auf einer langsamen und geruhsamen Nebenstrecke. In Berlin angekommen, suchten wir Gernot auf, der noch am Nachmittag zu einer Party auf’s Land fahren wollte und daher nur kurz zu Hause war. Bis Samstag stellte Gernots Wohnung ein zentrales und vorzügliches Hotelzimmer für uns dar, direkt unter’m Fernsehturm am Alexanderplatz.

 

Samstag, 2. August

Der Zug nach Wittenberge war übervoll und wir kamen einfach nicht hinein mit unseren Rädern. Stattdessen fuhren wir nach Nauen, immerhin grob in Richtung Elbe. Von Nauen aus radelten wir durch das Havelland, einer flachen, nicht sehr aufregenden Landschaft mit sehr ländlichem Charakter. Ein Ort zog allerdings unser Interesse an sich: Ribbeck. Hier stand der Birnbaum, den Theodor Fontane in seiner Ballade „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“ beschreibt. In Rathenow schließlich war genug Platz im Zug nach Wittenberge. Von hier fuhren wir auf dernördlichen Seite der Elbe entlang durch die Brandenburger Elbtalaue. Die Landschaft zeigte sich sehr ursprünglich, sehr idyllisch und es war schwer vorstellbar, dass die Flut vor einem Jahr eine ganz andere Landschaft hervorgebracht hatte. Unser Tagesziel war Schnackenburg, die nach eigenen Angaben kleinste Stadt Deutschlands. Ich dachte, Arnis an der Schlei hätte diesen Status. Sei’s drum. Auf dem Weg nach Schnackenburg fuhren wir durch Müggendorf, wo neben 40 Einwohnern 16 Störche leben, also vier Horste mit je einem Paar und zwei Kindern bewohnt sind.

 

Sonntag, 3. August

Wieder war es sehr heiß und es ging weiter elbabwärts. Das heutige Ziel war Hitzacker, um von dort mit dem Zug die restlichen Kilometer nach Hause zurückzulegen. Unterwegs sahen wir die halbe Brücke bei Dömitz, ein Relikt aus dem 2. Weltkrieg. Aufgrund des extremen Niedrigwassers an der Elbe war die Schifffahrt mittlerweile eingestellt worden. Glücklicherweise fuhr bei Hitzacker ein „Fährersatzverkehr“ in Form eines Motorbootes, das vier Passagiere und vier Fahrräder gleichzeitig mitnehmen konnte. Das mit dem Ersatzverkehr begleitete uns unglücklicherweise noch weiter an diesem Tag.

In Hitzacker fuhr kein Zug, dafür ein „Schienenersatzverkehr“, der jedoch lediglich dafür ausgerüstet war, bis zu drei Fahrräder pro Fahrt mitzunehmen, und das auch nur dann, wenn Platz dafür wäre. Solch ein Bus fuhr ganze drei Mal am Tag und der nächste sollte in drei Stunden fahren. Die Befürchtung, nicht zu den drei Passagieren mit Fahrrädern zu gehören, die am frühen Abend den Bus nach Lüneburg nehmen konnten, war naheliegend, zumal der Bus nicht erst in Hitzacker eingesetzt wurde, es ein hochsommerlicher Sonntag war und im gesamten Wendland viele Leute unterwegs waren.

Daher entschlossen wir uns, weitere 45 km bis nach Lüneburg mit dem Fahrrad zu fahren. Es war sehr heiß, wir waren bereits 60 km gefahren und die Aussicht auf weitere schweißtriefende Kilometer war nicht sehr verlockend, aber es blieb uns nicht viel anderes übrig. Überraschenderweise erwies sich die Landschaft als sehr hügelig. Es gab Steigungen und Gefälle von bis zu 14 % und das im nördlichen Niedersachsen. Im Ort Neu Darchau, nach sehr anstrengenden 20 Kilometern, kam uns dann ein Engel zu Hilfe: Wir standen gerade an einer Bushaltestelle, überlegten, ob wir uns noch einen kurzen Blick auf die Elbe gönnen wollten, da hielt ein Bus an mit Fahrziel Lüneburg und der Fahrer nahm uns freundlich lächelnd mitsamt den Fahrrädern mit.

 

Montag, 4. August

Flug von Hamburg über Sachsen-Anhalt, Sachsen, Tschechien, die Slowakei, über Ungarn, Rumänien und Bulgarien nach Istanbul. Flugzeit: 2 Stunden und 45 Minuten. Ein herrlicher Blick über das Schwarze Meer. Im Bogen nach Süden geflogen und vom Marmara-Meer aus gelandet. In Istanbul traf ich - so war es geplant - Kersten, die kurz zuvor aus Frankfurt eingetroffen war. Nach dem Start in Istanbul wurde es bald dunkel. Der Flug war sehr ruhig und wir landeten pünktlich um 3.30 Uhr in Almaty.

 

Dienstag, 5. August

Die Einreiseformalitäten dauerten sehr lange. Wir mussten diverse Formulare ausfüllen, alle nur auf Russisch erhältlich und konnten trotz Kerstens Russischkenntnissen nicht alles verstehen und somit auch nicht ordnungsgemäß ausfüllen. Gestört hat es offensichtlich niemand. Bis wir schließlich beim Gepäck waren, war viel Zeit vergangen, aber noch lange kein Gepäck in Sicht. Dann kamen die Rucksäcke und wir dachten, jetzt sind wir durch. Mitnichten: Das Gepäck wurde ein weiteres Mal kontrolliert, wie beim Check-In und wieder gab es lange Schlangen.

Dank Eckis e-mail von vorgestern wussten wir, dass wir an den beutesuchenden Taxifahrern vor dem Flughafengebäude vorbei gehen und in einer Cafeteria warten sollten, bis Mini-Busse – Marschrutny-Taxis – in die Stadt fuhren. Dieses Café war die ganze Nacht geöffnet. Außer uns waren zwar keine Gäste dort, aber zwei Frauen arbeiteten.

Wie verabredet trafen wir uns mit den anderen Mitreisenden um 8.00 Uhr an der Zenkov-Kathedrale im Panfilov-Park. Als da wären: Ecki aus Berlin, hat mal in Freiberg/Sachsen Chemie studiert und ist ein unglaublich allgemeingebildeter Mensch. Sigrid, genannt Siggi, aus Freiberg, eine geniale Köchin und Mutter von Conrad (13 Jahre). Dabei war auch Carsten, Siggis Partner und Conrads Vater, Verfahrenstechniker und begeisterter Rennradfahrer zum Biertrinken im nahen Böhmen. Kersten, ursprünglich aus Thüringen, studierte auch mal in Freiberg. Ihr zweites Studium machte sie zur Theologin. Als solche arbeitet sie beim Weltkirchenrat in Genf. Andree, der uns mit seiner Fröhlichkeit erheiterte, kommt aus der südöstlichsten Ecke Sachsens, studierte ebenso in Freiberg, lebt jedoch in Berlin. Ja und ich, ... aber das ist ja bekannt. So waren wir also zu sechst.

Jetzt entsteht vermutlich die Frage, wie ich zu dieser Gruppe komme. Ecki und Gernot (der ursprünglich auch mitfahren wollte, aber leider verhindert war) gehören zum Wandergrüppchen, welches sich jedes Jahr Ende August für eine Woche zur Alpenwanderung irgendwo in Österreich, der Schweiz oder Italien trifft. An einem Wochenende im Juni vergangenen Jahres auf dem Segelschiff Lovis zwischen Rügen und der dänischen Insel Mön hat sich zwischen uns dreien die Idee für diese Reise entwickelt. Alles klar?

Carsten, Siggi, Kersten und Ecki waren, neben vielen anderen Reisen, bereits mehrmals in Zentralasien gewesen, insbesondere im Tienshan-Gebirge. Andree kannte die Gegend nicht direkt, dafür andere Regionen der ehemaligen UdSSR und hat ganz Südamerika bereist.

Wo waren wir stehen geblieben? Kersten und ich waren also in Almaty angekommen. Glücklicherweise waren die Hotelzimmer der anderen nicht vor 11.00 Uhr zu räumen. Daher konnten wir wenigstens ein wenig von dem Schlaf nachholen, der uns in der Nacht geraubt worden war. Schließlich waren wir zu einer Uhrzeit angekommen, zu der wir uns nach unserer inneren Uhr bald ins Bett gelegt hätten. Die Nacht hatte für uns also schlichtweg nicht existiert.

Anschließend: Frühstücken, Tee trinken in einem Café im Park, e-mails nach Hause geschrieben, Einkauf auf dem Bazar (leckerste Antipasti, Trockenfrüchte, Obst und Brot). Dann fuhren wir mit dem Stadtbus Richtung Gebirge. Unser Ziel war der Ort Kokschoky, etwa 20 km südwestlich von Almaty auf 1500 m gelegen, am nördlichen Rand des Nord-Tienshan. Dort fanden wir einen schönen Platz zum Zelten und ein Café, welches Bier und Schaschlik-Spieße anbot. Kulinarisch war das ein guter Anfang, denn die Schaschlik-Spieße wurden bis auf Tashkent nicht besser.

 

Mittwoch, 6. August

Geplant war nun, in der kommenden Woche zwei Gebirgszüge des Tienshan Richtung Süden zu überqueren und anschließend am Issyk-Kul die Beine hoch zu legen.

Voller Überzeugung, das Richtige zu tun, gingen wir also von Kokschoky aus einen Weg hinauf, an einer Wasserleitung entlang, auf fies steilen Stufen, bestehend nur aus Eisenstäben und einem beinahe durchgängig vorhandenen Handlauf, 400 Höhenmeter aufwärts, bis zu 45° steil. Am Ende war ein ebener Weg, der aber leider wieder hinab führte zum Bach, welcher unser Ausgangspunkt gewesen war, nur etwas weiter talaufwärts. Hier hätten wir entweder eine Brücke gebraucht oder eine gute Stelle, um den Bach zu durchqueren. Beides war nicht möglich. Wir suchten alles ab und so machte sich langsam die Gewissheit breit, einen Fehler begangen zu haben. Zumindest ließ es sich am Bach gut zelten und auch das Lagerfeuer war sehr schön. Eine Hoffnung war noch, dass der Fluss am nächsten Morgen deutlich weniger Wasser führen könnte und somit ohne Gefahr zu durchwaten sei. Mit diesem Hoffnungsschimmer schliefen wir ein.

 

Donnerstag, 7. August

Der Fluss war natürlich genauso reißend wie am Vortag und es war klar, dass wir den ganzen Weg zurückgehen mussten, vor allem die ekelhaften Eisenstabstufen wieder absteigen mussten. Diese Aussicht war ziemlich schrecklich und es machte auch wirklich überhaupt keinen Spaß. Jedenfalls kamen wir alle heil unten an, etwas erschöpft, aber die Vorfreude auf Bier und Schaschlik-Spieße verbesserte unsere Laune beträchtlich. Mittlerweile hatten wir auch begriffen, was unser Fehler war: Weiter hinten im Tal gab es eine zweite Wasserleitung, an der ein Weg entlang ging. Diesen Weg wollten wir eigentlich gehen. Die Motivation, noch einmal solch steile Stufen hinauf zu steigen, war nicht bei uns allen vorhanden, und so organisierten wir uns ein Taxi für die Fahrt zum Stausee Almatinskoje.

Das Fahrzeug war ein russischer Lada. Das Gewicht, das der Wagen befördern sollte, setzte sich aus sechs Wanderern mit sechs Rucksäcken von über 20 kg und einem Fahrer zusammen. Die Rucksäcke wurden im Kofferraum gestapelt, welcher offen blieb. Einige Schnüre sollten alles zusammenhalten und eine Plane Schutz vor dem Regen geben. Die Straße war eine Schotterpiste mit tiefen Schlaglöchern, auf der wir 1000 Höhenmeter zurücklegen sollten. Der Fahrer verfolgte sehr ehrgeizig das Ziel, uns dort oben am See abzusetzen. Und es klappte! Unser Fahrer fuhr sehr umsichtig um jedes Schlagloch herum. Der Wagen keuchte und zeigte sich sehr beansprucht. Es tat richtig weh. Doch der Ehrgeiz des Fahrers ließ es nicht zu, dass wir ein Stück zu Fuß gehen wollten und nur unser Gepäck hochgefahren werden sollte. Zuweilen mussten wir aber doch an Brücken aussteigen, da der Lada hier aufgelegen wäre. Bei dem Zustand der Brücken waren wir darüber nicht ganz unglücklich.

 

Freitag, 8. August

Am Morgen hatte es oberhalb des Sees geschneit, es schien die Sonne und der See zeigte sich türkisfarben. Unser Weg ging geradewegs nach Süden in Richtung kirgisischer Grenze und dem See Issyk-Kul. Die Landschaft war grandios, doch ich war mehr mit der Anstrengung durch meinen schweren Rucksack beschäftigt. Es tat ganz schön weh und mein Gefühl war, dass ich trotz all den Kilometern auf dem Fahrrad und beim Joggen (und derer waren es viele seit dem Frühjahr) keine gute Kondition habe. Nun gut, ich kam auch an, nur immer etwas später als die anderen. Mittlerweile bin ich überzeugt, dass ich schon eine gute Kondition hatte. Hätte ich mich nicht so vorbereitet wie dieses Jahr (was ich sonst vor Wanderungen nie getan habe), hätte ich diese Anstrengung wohl nicht geschafft.

Eine Flussdurchquerung gab es noch an diesem Tag und dann fand sich ein schöner Lagerplatz auf ca. 3100 m.

 

Samstag, 9. August

Die Sonne schien, am Himmel war keine Wolke zu sehen, die Sicht auf das hinter uns liegende Tal und die um uns liegenden Gletscher war wunderschön. Wir stiegen auf zum Osernij-Pass (3507 m), der die Grenze zwischen Kasachstan und Kirgistan darstellt. Der Abstieg endete im breiten, von Ost nach West verlaufenden Tal des Flusses Tschonn-Kemin. Das Tal liegt auf ca. 3000 m zwischen zwei Gebirgskämmen mit Spitzen von etwa 4500 m. Das gesamte Tal ist eine große Weide, wo früher kirgisische Hirten mit ihren Tieren den Sommer verbracht haben. Nachdem die Weidewirtschaft sehr zurück gegangen ist, leben hier unzählige Murmeltiere. Einen eindeutigen Weg im Tal gibt es nicht. Der Murmeltierpfad ist etwas platt getreten. Die Gefahr ist jedoch, in eines der vielen Löcher zu treten, die zu den Gängen der Murmeltiere führen. Der Fluss Tschonn-Kemin ist sehr reißend und an keiner Stelle zu durchwaten. So wanderten wir zunächst Richtung Osten, um den Tschonn-Kemin dort zu überqueren, wo er aus der Gletschermoräne heraus plätschert. Bis dorthin gab es noch zwei Flüsse zu durchwaten, wovon der zweite jedoch am Nachmittag zu viel Wasser trug und wir somit wieder mal an einem sehr schönen Platz unsere Zelte aufstellten.

 

Sonntag, 10. August

Den südwestlichen Talgar zu überqueren zeigte sich doch schwieriger als zunächst angenommen. Wir mussten ganz schön suchen, um eine Stelle zufinden, an der sich der Fluss ohne Gefahr meistern ließ. Wir schafften es, indem wir uns fest an der Hand nahmen und mit Wanderstöcken einen zusätzlichen Halt zwischen den Steinen fanden.

Nur 100 m oberhalb der erwähnten Moräne, aus der sich der Tschonn-Kemin speist, sollte sich der schönste See des Tienshan-Gebirges befinden, der Dshassil-Kel auf 3116 m. Über die Moräne aufsteigend sah man noch nichts von der Pracht. Doch der erste Blick hinunter zum See war atemberaubend. Vor uns lag ein tiefblauer länglicher See mit kristallklarem Wasser und vergletscherten Bergen im Hintergrund. Die Nordseite des Sees stellte einen Geröllhang dar, der bis in den See hinein reichte. Auf der Südseite dagegen schmiegte sich sanft eine Wiese zwischen See und den angrenzenden Bergen. Hier fanden wir ein paar ebene Plätze für unsere Zelte.

Am Nachmittag zog sich der Himmel bedrohlich zu. Wir sahen feine Streifen von Schlechtwetterwolken und hörten von Ferne ein Gewitter kommen. Sanfter Regen tropfte auf das Zelt.

 

Montag, 11. August

Am nächsten Morgen wachten wir völlig unerwartet bei strahlend blauem Himmel auf, und der See zeigte sich mit einer feinen Eisschicht überzogen.

Unsere Wanderung ging nun auf der Südseite des Tschonn-Kemin in das Seitental des Ak-Su. Hier wanderten wir zunächst über Geröll und Blockfelsen, die mit Steinmännchen sehr gut markiert waren. Weiter oben schließlich ging der Weg sanft ansteigend auf den Gletscher zu. Zunächst war unter unseren Füßen noch mehr Geröll als Eis, später dann immer mehr Eis, jedoch spaltenfrei, sodass jeder nach wie vor alleine gehen konnte.

Am Rande des Gletschers, wieder mehr im Geröll, suchten wir uns auf ca. 3650 m einen Lagerplatz. Eine relativ ebene Fläche mussten wir zunächst von vielen kleinen Steinchen befreien. Die Heringe konnten an diesem Tag im Rucksack bleiben. Hier halfen nur kleinere Felsbrocken, die an den Leinen für Spannung sorgten. Zum Glück steht ein Igluzelt allein durch das Gestänge. Der Abend und die Nacht waren sehr kalt und unsere Kochcrew speiste das einzige Mal im Zelt. Mit allen verfügbaren Klamotten, mit Mütze, Schal, Handschuhen und zwei Paar Wollsocken schließlich war die Nacht einigermaßen erträglich. Aber ich musste doch noch mal raus in dieser Nacht. Es war Vollmond und das war ein besonderes Schauspiel. Der Mond beleuchtete den vor uns liegenden Gletscher und verbreitete ein wunderschönes Licht. Ein besonders heller Stern, ein Planet, wie wir vermuteten, trug ebenso zu dieser Stimmung bei. Hinterher erfuhr ich, dass es mal nicht die Venus war, sondern der Mars. Die Atmosphäre dieser Nacht bleibt mir in jedem Fall unvergesslich.

 

Dienstag, 12. August

Bis zu einer Höhe von etwa 3400 m war die Vegetation des Gebirges sehr vielseitig gewesen. Vor allem blühten verschiedenste Blümchen in vielen bunten Farben. Ein Pflanzenbestimmungsbuch hatten wir nicht dabei und ich kenne leider auch nicht viele alpine Pflanzen. Bemerkenswert waren in jedem Fall die enorm großen Disteln (ca. 50 cm hoch) und mit Blüten von gut 15 cm Durchmesser. Tiere sahen wir weniger. Die bereits erwähnten Murmeltiere waren in einer für uns ungewöhnlich großen Anzahl vorhanden. Über uns kreisten manchmal Greifvögel, vielleicht Adler? Groß waren sie in jedem Fall. Die sehr scheuen Schneeleoparden bekommen Menschen ohnehin nicht zu Gesicht. Etwas traurig war dafür der Anblick der vielen erfrorenen Marienkäfer im Eis des Gletschers.

Mittlerweile waren wir richtig auf dem Gletscher angekommen. So war es auch besser, nun den Klettergurt anzulegen und angeseilt über den Gletscher zu gehen. Weiterhin ging es sanft ansteigend bergauf, immer einer noch schwach sichtbaren, festgetretenen Spur nach. Die letzten etwa 100 Höhenmeter bis zum Pass wurden richtig steil. Hier benötigten wir auch unsere Eispickel, um einen guten Halt im Schnee zu finden. Der „östliche Bosteri“ auf 4110 m bot schließlich eine grandiose Sicht zurück zum Gletscher, nach Süden hingegen war es sehr wolkig und die Sicht zum Issyk-Kul war nur für kurze Zeit frei. Dann schimmerte das Blau des Sees durch die Wolken hindurch, etwa 2500 Höhenmeter tiefer. Bis dorthin war es jedoch noch ein weiter Weg.

Die Nacht verbrachten wir mehr als 1000 m unter dem Pass. Die Aussicht auf eine wärmere Nacht in deutlich sauerstoffreicherer Luft ließ uns trotz Regen und Hagel noch ein gutes Stück gehen.

 

Mittwoch, 13. August

Kurz vor der Zivilisation entschlossen wir uns, unsere Uhren auf kirgisische Zeit umzustellen. Dies bedeutete, dass wir an diesem Morgen eine Stunde gewannen. Wie praktisch. Der Abstieg über Wiesen und Weiden zog sich hin. Hier begegneten wir nun auch das erste Mal Hirten mit ihren Herden. Je weiter wir Richtung Issyk-Kul kamen, desto wärmer wurde es und wir sahen noch viele Kilometer auf staubigen Straßen vor uns.

Sehr müde und schöpft erreichten wir am Nachmittag den Ort Bosteri, wo wir die erste Möglichkeit nutzen, Suppe zu essen. Dann ging es an die Suche nach einer Unterkunft. Sie endete bei einer sympathischen jungen Frau, die auf ihrem Grundstück mehrere Zimmer vermietete. Dusche und Plumpsklo befanden sich im Garten. Das Haus und der Garten waren schön gestaltet und die Familie mit drei kleinen Kindern war sehr freundlich.

Die Region um den Issyk-Kul ist sowohl für Kirgisen als auch für Kasachen, tendenziell für Besserverdienende, ein beliebtes Urlaubsziel. Der Issyk-Kul (was übersetzt warmer See heißt) ist 170 km mal 70 km groß und übertrifft damit den Bodensee um ein Vielfaches. An den Sandstränden liegend, schweift der Blick leicht zur Südküste mit der beinahe 5000 m hohen Bergkette des Süd-Tienshan und lädt zum Träumen ein. Tatsächlich war es wie im Traum, als wir begriffen, dass wir ohne aufstehen zu müssen mit Getränken und Speisen versorgt werden würden. Hier gab es z.B. geräucherten Fisch, gekochte Maiskolben, Früchte, kalte Getränke oder Eis.

 

Donnerstag, 14. August

Ein Faulenzer-Tag am Strand des Issyk-Kul. Ganz so faul war ich dann aber doch nicht. Meine Abhängigkeit von den anderen Mitreisenden in Sachen Sprache hatte mich dahingehend motiviert, zumindest die kyrillische Schrift zu lernen. Eine dreistündige Lektion am Strand genügte und ich war der russischen Schrift insofern mächtig, als dass ich Schriftzüge lesen konnte, Hinweisschilder mit den Zielorten in Bussen, die Namen von U-Bahn-Stationen in Tashkent usw. Das Gefühl, nun nicht mehr nur Hieroglyphen vor mir zu sehen, war sehr erhebend. Das Lesen geht nach wie vor nur langsam und manche Buchstaben sind mir noch nicht so vertraut, aber ein Anfang war es immerhin und eine große Bereicherung. Auch die Zahlen habe ich an diesem Nachmittag gelernt, da sie in Ländern, wo Preise oft ausgehandelt werden, doch eine wichtige Rolle spielen.

 

Freitag, 15. August

Vom Issyk-Kul ging unsere Fahrt weiter in die Hauptstadt Bishkek und von dort ohne Aufenthalt nach Kara Balta, eine weitere Stunde westlich. Hier hatten wir vor, eine deutsche Familie zu besuchen, von der wir über ein paar Ecken erfahren hatten. Sie hatten eine lose Einladung ausgesprochen, dort im Garten zu übernachten. Eine telefonische Anmeldung war aufgrund technischer Schwierigkeiten nicht möglich gewesen und so standen wir einfach vor der Türe.

Beim Abendessen stellte sich dann der Knüller heraus: Christoph und Kathrin kommen aus Celle und Christoph kennt Johannes von der Schule. Christophs Schwester Konstanze ist eine gute Freundin von Johannes und war mit ihrer Familie bis just an diesem Morgen für drei Wochen in Kara Balta zu Besuch. So etwas kann eigentlich überhaupt nicht sein. Aber es war tatsächlich so.

 

Samstag, 16. August

Siggi, Carsten, Andree und Ecki hatten den Wunsch, noch einmal für ein paar Tage ins Gebirge zu gehen. Kersten und ich wollten lieber mehr Zeit in Usbekistan haben. So entschieden wir uns, eine Woche getrennte Wege zu gehen. Die Vier fuhren am frühen Abend ins Gebirge, Kersten und ich blieben noch eine Nacht bei Christoph, Kathrin sowie den Kindern Karl und Anna.

 

Sonntag, 17. August

Am Abend stiegen wir in den Bus nach Tashkent. Die bevorstehende Fahrt mit einer etwa 400 km langen Transitstrecke durch Kasachstan verursachte schon im Vorhinein einige Bauchschmerzen. Ein Problem war die Sache mit dem kasachischen Visum. Unsere Ausreise über den Osernij-Pass im Tienshan-Gebirge war illegal, da das Land nicht ohne einen Stempel im Pass verlassen werden darf. Dieser Sachverhalt war uns durchaus bekannt. Die Alternativen für die Transitstrecke waren allerdings nicht sehr verlockend. Wir hätten eine sehr lange und mühsame Strecke Richtung Osh fahren müssen, um von dort direkt nach Usbekistan einzureisen. So wären wir vermutlich drei Tage unterwegs gewesen anstatt einer Nacht auf unserer geplanten Route. Die zweite Alternative war, von Bishkek nach Tashkent zu fliegen. Da aber nicht täglich Flüge gingen, diese zudem recht teuer waren und gerade Wochenende, war auch diese Variante nicht sehr überzeugend.

Das zweite Problem war ein Fehler bei meinem usbekischen Visum. Unglücklicherweise war es erst ab dem 21. August gültig, während Kerstens Visum bereits ab 18. August galt. Hier waren wir uns im Klaren, dass ich eine hoffentlich nicht zu hohe Summe zahlen müsste, um bereits vor der Zeit in Usbekistan einreisen zu dürfen.

Schon nach einer Stunden Fahrt erreichten wir die kirgisisch-kasachische Grenze. Wie erwartet, bemerkte der kasachische Grenzposten unseren fehlenden Stempel sofort. Der kirgisische Beamte dagegen hielt sich überhaupt nicht daran auf, dass wir ja auch keinen kirgisischen Einreisestempel hatten. Nun wurde diskutiert. Kersten musste viele Fragen beantworten. Das Misstrauen war groß. Wir durften nicht erwähnen, dass wir über das Gebirge ausgereist waren. Der Grenzposten zeigte sich äußerst unfreundlich und hatte eine sehr unangenehme Art, Kersten Fragen zu stellen. Nach längerer Zeit schrieb er auf ein Papier, dass er von uns $ 200,- haben wolle. Kersten fragte mich, was wir ihm geben wollten. Ich antwortete $ 50,-. Diese Zahl ignorierte er schlichtweg. Nachdem sich einige Minuten nichts bewegte, forderte Kersten mich auf, $ 50,- aus meiner Bauchtasche zu holen, ohne zu zeigen, was sonst noch an Geld drinnen sei. Ich zeigte ihm die Scheine. Als plötzlich ein Vorgesetzter den Raum betrat, musste ich die Scheine schnell wieder verschwinden lassen. Schließlich ging das Licht im Zimmer aus und die Geldübergabe fand statt. Die Abmachung war nun, dass wir nach unserer Einreise am 5. August nie aus Kasachstan ausgereist seien. In Kirgistan sind wir demnach nicht gewesen. Dies bedeutete auch, da unser kasachisches Visum nach wie vor gültig war, dass wir auch kein Transitvisum benötigten. Denn das hatten wir auch nicht. Von dieser Bestimmung hatten wir nichts gewusst.

Kersten kochte vor Wut über die Behandlung durch den Grenzposten, über die Visabestimmungen und über das Geld, das wir bezahlt hatten. Als wir jedoch von einem französischen Mitreisenden erfuhren, dass sein Transitvisum $ 35,- gekostet habe, waren wir etwas versöhnt. Schließlich waren wir mit den $ 50,- für uns beide recht gut weggekommen.

Die Nacht verlief relativ ruhig und wir konnten einigermaßen schlafen. Um 5.00 Uhr morgens endete die Busfahrt jedoch abrupt und alle Passagiere stiegen aus. Kersten erfuhr, dass wir uns an der kasachisch-usbekischen Grenze befanden, dass die Grenze bis 6.00 Uhr geschlossen sei und dass wir zu Fuß die Grenze passieren müssten. Busse und Taxis fuhren auf der anderen Seite ausreichend, um die letzten 15 km nach Tashkent zurückzulegen. So warteten wir also am Rand einer staubigen Straße, tauschten unsere übrig gebliebenen kirgisischen Som in usbekische Sum und hofften, dass das fehlerhafte Visum nicht für allzu große Probleme sorgen würde.

Als sich das grüne Tor öffnete, drängelte sich eine große Menschenmenge darauf zu. Nachdem unser kasachisches Visum durch die Aktion der vergangenen Nacht nun in Ordnung war, gab es hier keine Probleme. Unabhängig davon mussten wir sechs verschiedene Posten passieren. Welch ein Aufwand, um ein Land zu verlassen! Spannend wurde es schließlich beim usbekischen Grenzposten. Kersten ging voran. Ihre Papiere waren schließlich in Ordnung. Die gründliche Inspektion ihres Passes samt Visum ließ jedoch Schlimmes befürchten. Dann kam mein Pass an die Reihe. Wir waren darauf eingestellt zu erklären, dass aus unerfindlichen Gründen dieser Fehler passiert sei (was auch stimmte), dass wir um eine Verlängerung um drei Tage bitten wollten und bereit wären, den üblichen Betrag in Höhe von $ 40,- für ein Visum erneut zu bezahlen. Überraschenderweise war diese Erklärung nicht nötig. Es machte klack und der Einreisestempel war im Pass. Als wir schließlich noch unser Gepäck durch die Röntgenkontrolle gaben, sagte ein freundlicher Beamter, „Welcome to Uzbekistan“. Das waren völlig unerwartete Worte nach den nicht so erfreulichen Erfahrungen mit Grenzkontrollen in dieser Nacht.

Die gierigen Taxifahrer auf usbekischer Seite wollten umgerechnet $ 20,- für eine Fahrt ins Zentrum von Tashkent. Wir verzichteten, liefen weiter stadteinwärts in der Überzeugung, dass ein paar Kilometer von der Grenze entfernt der Preis deutlich günstiger sein würde. Der Stadtbus für $ 0,10 war schließlich nicht zu unterbieten und so erreichten wir Tashkent gegen 8.00 Uhr morgens, müde aber sehr erleichtert.

 

Montag, 18. August

Mittlerweile war es also Montag geworden. Wir befanden uns in Tashkent, hatten aber nur einen vagen Plan, wohin wir wollten. Beim Umsteigen in einen anderen Bus sprach uns eine junge Usbekin in sehr gutem Englisch an und bot ihre Hilfe an. Sie begleitete uns zur Bank für den Geldwechsel und beschrieb ein passables, zentrales und nicht so teures Hotel.

Am Nachmittag erkundeten wir die gesamte Innenstadt zu Fuß und lernten auch die Metro kennen, ein wunderbar einfaches System mit prunkvollen, Kronleuchter-behangenen und in Marmor gefassten Stationen.

 

Dienstag, 19. August

Unser Ziel war es, die schweren Rucksäcke bis zum Rückflug in Tashkent zu lassen und nur mit einem ganz leichten Gepäck weiterzureisen. Die Gepäckaufbewahrung gestaltete sich jedoch schwierig und so entschieden wir uns, eine weitere Nacht in Tashkent zu bleiben. So hatten wir einfach mehr Zeit, das zu organisieren. Im Hotel Uzbekistan waren wir schließlich erfolgreich und konnten dort für $ 1,- pro Tag unsere Rucksäcke lassen. Das war es uns absolut wert.

Eine besondere Erfahrung an diesem Tag war noch der Besuch des Chorsu-Bazar, dem größten Markt von Tashkent. Hier herrschte ein herrlich buntes Treiben. Begeisternd waren auch die große Farbenvielfalt und die unterschiedlichsten Gerüche von all den leckeren Nahrungsmitteln und Speisen. Zum Mittagessen kauften wir uns fertigen Salat, bestehend aus eingelegten Auberginen, feinsten Möhrenstreifen, Gurken, Kohl, Knoblauch, Petersilie und frischem Koriander. Das Ganze mit frischem Fladenbrot war ein Gedicht. Am Abend saßen wir wieder im großen Park unter Bäumen, aßen Schaschlik-Spieße und tranken Bier und Grüntee.

 

Mittwoch, 20. August

Ein ziemlich alter Ikarus-Bus aus Ungarn brachte uns von Tashkent nach Samarkand. Für 280 km benötigte er gute fünf Stunden. Entgegen aller Erwartungen fuhr der Bus in Tashkent normal gefüllt los, sodass jeder Sitzplatz besetzt war. Nach wenigen Minuten bereits füllte sich der Bus jedoch zunehmend. Im Gang drängten sich die Menschen und richteten sich auf mehrere Stunden im Stehen ein. Nahte eine Polizeikontrolle, welche es häufig gab, mussten sich alle Passagiere im Gang niederknien, danach durften sie sich wieder aufrichten. Es wurde deutlich, dass solch eine Überbelegung nicht erlaubt ist, der Fahrer und sein Begleiter, welcher alles in Zusammenhang mit den Fahrgästen organisierte, sich durch die zusätzlichen Passagiere Geld in die eigene Tasche wirtschafteten. Nach fünf Stunden im überfüllten Bus bei über 30° war der luftige Bazar in Samarkand mit all den Gerüchen und Genüssen wieder ein Fest für uns.

Ein durch Mundpropaganda gefundenes nettes kleines Privathotel mit wunderschönem Garten war für die nächsten drei Tage unser Zuhause. Die Besitzerin sprach hervorragend Deutsch, ihre Schwester, mit der sie das Haus leitete, ebenso gut Englisch. Am Abend konnten die Gäste am mehrgängigen traditionellen Mahl teilnehmen, was wir einen Abend auch sehr genossen.

 

Donnerstag, 21. August

Den Vormittag verbrachten wir im Innenhof der Tilla-Kari Medresse, einer von drei ehemaligen Koranschulen des Registan. Der Name Registan steht für den gesamten Gebäudekomplex. Die drei Medressen sind im Quadrat zueinander angeordnet, welches nach Süden hin offen ist. Der Registan wird als das herausragendste Bauwerk Zentralasiens bezeichnet. Die älteste der drei Medressen entstand im 15. Jahrhundert zur Regierungszeit des Astronomen Ulughbek. Hier, wie auch bei den beiden anderen Medressen, wurde der kahle Sandstein auf faszinierende Art und Weise mit Tausenden von blau- und türkisfarbenen Kacheln verziert. Riesige Flächen an den Eingangstoren (Iwan), an den Minaretten und den Kuppeln heben sich auf diese Weise von der einheitlich hellbraunen Farbe der Gemäuer sowie der gesamten Vegetation ab. Bei genauer Be-obachtung der Mauern wird deutlich, dass ein paar blaue Steine in einer besonderen Anordnung noch kein bedeutendes Kunstwerk ausmachen. Erst durch die Größe der Säulen, der Fassaden oder Wände wird das Künstlerische erlebbar.

Ein als Aufsicht eingesetzter Polizist ermöglichte uns den Aufstieg zur Spitze eines Minaretts. Offiziell ist dies wohl nicht vorgesehen. Die Frage „Do you like Minaret“ amüsierte uns schon sehr. So organisiert sich auch der Polizist ein kleines Zusatzeinkommen. Die Aussicht von oben war sehr schön, vor allem, da die vielen türkisfarbenen Kuppeln in der Stadt nun auf einen Blick sichtbar wurden.

 

Freitag, 22. August

Die Gräberstraße Shar-i-Zindah mit unzähligen Mausoleen, auf ähnliche Art verziert wie der Registan, stellte heute unser Kulturprogramm dar. Wir ließen einfach die Atmosphäre auf uns wirken, guckten uns die verschiedenen Kacheln genau an, vermieden aber, uns mit Namen und Daten der in den Mausoleen Begrabenen verwirren zu lassen.

Auf dem Bazar begeisterte uns die Stoff-Abteilung. Die Fülle und Farbenvielfalt von mehr als zehn Meter langen Stoffbahnen, von Stangen knapp unter den Zeltdächern herunterkommend, ließ uns nur noch staunen. Usbekische Frauen kaufen sich keine fertigen Kleider. Sie suchen sich auf den Bazaren Stoffe aus und lassen aus diesen Kleider nähen oder nähen sie selbst. Der Schnitt dieser Kleider, sowie die darunter getragenen lockeren Hosen, ist immer ähnlich. Die Stoffe dagegen zeigen eine individuelle Note. Das Straßenbild, vor allem in Samarkand, ist daher sehr bunt.

Am Nachmittag geschah dann das Unglück, das Kersten dazu veranlasste, früher nach Hause zu fliegen. Sie knickte im Garten unserer Unterkunft um, spürte einen starken Schmerz und bekam trotz sofortiger Kühlung und Hochlagerns einen dicken, blaugefärbten Fuß. Ein von unserer Gastgeberin Kutbiya liebevoll begleiteter Krankenhausbesuch brachte zwar eine Röntgenuntersuchung mit sich, das Bild ließ jedoch nichts erkennen. Die Diagnose lautete nur „ruhig stellen“. Das Röntgen kostete, nebenbei erwähnt, umgerechnet $ 2,20. Auch in welch kurzer Zeit wir das Krankenhaus wieder verließen, überraschte uns. In der Notaufnahme in einem deutschen Krankenhaus muss man ja bekanntlich viel Geduld mitbringen. Aber vielleicht ist dafür die Qualität der Untersuchung eine andere.

 

Samstag, 23. August

Da Kersten sich nicht ohne fremde Hilfe bewegen konnte und eine weitere Abklärung ihrer Verletzung in Deutschland wünschte, entschlossen wir uns, zusammen nach Tashkent zu fahren. Die 280 km legten wir dieses Mal im Taxi zurück. Ein Platz im Sammeltaxi kostete pro Person $ 6,-, wir bezahlten drei Plätze und hatten so das Taxi für uns.

In Tashkent versuchten wir zunächst am Flughafen eine Umbuchung von Kerstens Flug zu organisieren. Da die Flugzeuge nach Europa alle jedoch in der Nacht abfliegen, war keines der Büros der Fluglinien geöffnet. Auch das Büro von Turkish Airlines (mit der Kersten geflogen war) in der Stadt war am Samstagnachmittag natürlich geschlossen. So suchte ich ein Reisebüro auf, welches wir von den ersten Tagen in Tashkent her kannten. Hier hatten wir uns nach innerusbekischen Flügen erkundigt. Glücklicherweise war hier noch offen, die junge Frau im Reisebüro sprach ein gutes Englisch und zeigte sich sehr motiviert, uns zu helfen. Dafür machte sie mehr als drei Überstunden an diesem Nachmittag. Ich saß stundenlang bei ihr im Büro, da wir auf die Bestätigung des neuen Flugtickets mit Uzbekistan Airways warteten, die einfach nicht kam. Irgendwann hatten wir beide Hunger und Firuza schlug vor, doch nebenan in einem Café Essen zu gehen.

Als ich nach vielen Stunden wieder zu Kersten ins Hotel zurück kam, war sie sehr erleichtert und wir konnten doch zuversichtlich ihrer Rückreise entgegen sehen. Ganz so war es dann leider nicht, aber das ist eine andere Geschichte. Trotz aller Schwierigkeiten landete Kersten Montagmorgen in Frankfurt. Bei einer erneuten Untersuchung ihres Fußes stellte sich dann jedoch heraus, dass der Mittelfußknochen gebrochen war. Nach der Operation ist dieses nicht so schöne Kapitel

von Kerstens Reise in einigen Monaten nun hoffentlich abgeschlossen.

Am Sonntag fuhr ich zurück nach Samarkand in der großen Hoffnung, nun auch die anderen vier Mitreisenden wieder zu treffen. Wir hatten uns für dieses Wochenende jeden Abend um 18.00 Uhr am Registan verabredet. Am Sonntagabend klappte es. Siggi, Carsten, Ecki und Andree waren bereits Samstagmorgen in Samarkand eingetroffen.

 

Montag, 25. August

Einen weiteren Tag blieben wir in Samarkand, genossen die vielen kulinarischen Leckereien, die großartigen Bauwerke und ein weiteres Menü in unserer ersten Unterkunft bei Kutbiya.

 

Dienstag, 26. August

Der Ikarus-Bus von Samarkand nach Buchara schlug alle Rekorde. Die Sitze zeigten den bloßen Federkern, der Schaumstoff war größtenteils nicht mehr vorhanden, die Innenverkleidung existierte nur an machen Stellen und die Fenster gingen nur teilweise auf. Nach einiger Zeit bot man uns weiter vorne Sitze an, die in einem etwas besseren Zustand waren. Mit Lesen oder Träumen überstanden wir alle die gut fünfstündige Fahrt. Nach einigen Rundgängen in der Altstadt von Buchara entschieden wir uns für ein nettes kleines Privathotel in einer Seitenstraße. Auch dieses hatte einen Innenhof und, was eine große Erleichterung war, Räume mit Klimaanlage. Mittlerweile hatten wir 37°.

 

Mittwoch, 27. August

Wenige Minuten von unserer Unterkunft befand sich das in Steine eingefasste Bad „Lhabi-Hauz“ aus dem 17. Jahrhundert. Hier und an vielen anderen Plätzen in der Stadt konnte man Moscheen, Medressen, Mausoleen und ein Minarett aus dem 12. Jahrhundert bestaunen. Das Kalon-Minarett steht zentral von mehreren anderen Gebäuden umgeben und ist ein Beweis einer sehr stabilen Baukunst. In all den Jahrhunderten mussten an ihm nur kosmetische Reparaturen vorgenommen werden. Ein zehn Meter tiefer Sockel verhinderte zudem Schäden durch häufigere Erdbeben. Dieses Minarett konnte ganz offiziell bestiegen werden und bot wiederum einen großartigen Blick auf das gesamte Ensemble von mittelalterlichen Bauwerken in Buchara. Der Blick von oben vermittelte den Eindruck, dass hier noch deutlich mehr türkisfarbene Kuppeln und große, bunt verzierte Eingangsportale zu den Moscheen und Medressen zu sehen sind als in Samarkand.

Drei, nach meinem Empfinden, besonders schöne Bauwerke sind die Mir-i-Arab Medresse mit der Kalon-Moschee, direkt neben dem Kalon-Minarett, die etwas baufällige Moschee Bala Hauz, etwas außerhalb des Zentrums, sowie die Medresse Ulughbek.

Mir-i-Arab zeichnet sich durch ihren großen Innenhof, durch eine sehr vielfältige Gestaltung der Ornamente und natürlich durch ihre Lage direkt neben dem großen Minarett aus. Sie entstand im 16. Jahrhundert. Die Mosche Bala Hauz wurde zwar erst im 18. Jahrhundert gebaut, hat aber eine prächtige, bunt ausgemalte Kasettendecke im Eingangsbereich. Die Medresse Ulughbek schließlich, gebaut Anfang des 15. Jahrhunderts, ist im Bereich des Portals mit besonders schönen Farben und Formen verziert. Eine Art gedrehtes Seil um den Torbogen herum gilt als ein seltenes Schmuckelement.

 

Donnerstag, 28. August

Die Stunden vergingen mit Besichtigungen, mit einer langen Mittagspause, mit gutem Essen und ausgiebigem Tee trinken. Und es war immer noch sehr heiß.

 

Freitag, 29. August

Nach Kara Balta hatte mich erneut der Durchfall eingeholt, sodass ich den Vormittag in unserer Unterkunft blieb. Am Nachmittag ließ es mir dann doch keine Ruhe, ich wollte an unserem letzten Tag in Buchara noch einmal Shoppen gehen. Das war auch recht erfolgreich, denn ein schöner gewebter Teppich liegt nun in meiner Wohnung.

Am frühen Abend fuhren wir im Auto unseres Gastgebers Nasreddin nach Kagan, einem kleinen Ort außerhalb Bucharas, in dem sich der Bahnhof befindet. Mit dem Nachtzug im bequemen Liegewagen fuhren wir nach Tashkent zurück.

 

Samstag, 30. August

Frühstück am Busbahnhof und Einchecken im Hotel Uzbekistan, da ich noch eine Nacht in Tashkent verbringen musste. Der Flug der anderen Vier ging bereits in dieser Nacht. So lagerten den Tag über vier weitere Rucksäcke auf meinem Zimmer.

Wir gingen zum Chorsu-Bazar und genossen ein Konzert eines Streichquartetts im Park, wo wir uns ausruhten und Tee tranken. Das Konzert war im Grunde Straßenmusik, da sie jedoch direkt vor unserem Tisch stattfand, hatte das Ganze für uns mehr einen Konzertcharakter. Die Musiker/Innen waren hervorragend und wurden von uns mit einem schon überdurchschnittlichen Beitrag gewürdigt. Die Einkommen in Orchestern im Bereich der ehemaligen UdSSR sind bekanntermaßen sehr niedrig. Ein letztes Schaschlik-Essen im Park, dann fuhren die Vier im geräumigen Wolga zum Flughafen.

 

Sonntag, 31. August

Das Fernsehen zeigte in BBC World eine sehr interessante Reportage über den Dirigenten Daniel Baremboim sowie über Äthiopien. An diesem letzten Tag in Usbekistan verbrachte ich viele Stunden mit Schreiben (mein Reisetagebuch verlangte nach Ergänzungen), einem letzten Besuch auf dem Chorsu-Bazar, mit Dösen im Park und auch etwas gelangweilt einfach herumsitzend, da es in Tashkent beim dritten Besuch innerhalb von zwei Wochen nicht viel Neues zu entdecken gab. Die Altstadt Tashkents wurde in den 60er Jahren bei einem Erdbeben größtenteils zerstört. Daher ist der Charakter eher der einer Ex-Sowjetischen Großstadt, mit teilweise orientalischem Flair. Ein paar letzte Einkäufe, vor allem von wunderschöner Töpferware, rundeten den Tag ab.

Kurz vor Mitternacht organisierte ich mir ein Taxi. Auch das war noch zu früh, aber am Flughafen konnte ich schließlich auch warten. Der Flug sollte um 3.30 Uhr gehen, verspätete sich noch, sodass ich um ca. 4.00 Uhr völlig müde in meinem Sessel einschlief. Die knapp fünf Stunden bis Istanbul verbrachte ich, abgesehen von Start, Landung und Essen, selig schlafend. Der Landeanflug auf Istanbul am gerade erwachenden Morgen war sehr schön. Viele Moscheen mit ihren spitzen Minaretten waren zu sehen, auch der Bosporus und die darüber führenden Brücken sowie das südlich von Istanbul gelegene Marmara-Meer. Ein kurzer Rundgang im schön gestalteten Flughafengebäude, dann ging es schon weiter, in drei Stunden direkt nach Hamburg. Auch diese Zeit verschlief ich, abgesehen von Start, Landung und Frühstück. Als ich die Elbe kurz vor Lauenburg sah, waren wir ja schon fast angekommen.

 

Montag, 1. September

Silke holte mich wie verabredet ab. Johannes und meine Mitbewohnerin Ingrid waren beide als Lehrer in der Schule und somit verhindert. Silke blieb zum zweiten Frühstück mit Leckereien vom Bazar und Grüntee. Später kam Ingrid dazu. Am Nachmittag schließlich kam Johannes und ließ sich stundenlang von meinen Reiseerlebnissen berichten. Fast hätten wir die Zeit verschlafen und den Einkauf nicht mehr geschafft. Mein Kühlschrank war ja völlig leer.

Vier aufregende und ereignisreiche Wochen waren zu Ende gegangen. Vieles ging mir im Kopf rum, vieles galt es aufzuarbeiten und nachzulesen. Glücklicherweise hatte ich noch eine ganze Woche frei und konnte mich somit langsam an das Leben zu Hause in Hamburg gewöhnen.

 

 


 

Nun möchte ich noch einige besondere Situationen auf dieser Reise beschreiben, Kuriositäten, die mir begegnet sind oder auch zentralasiatisch erscheinende Charakterzüge (bei aller Vorsicht vor Beurteilungen). Diese Erzählungen gehen noch einige Seiten. Wem das zu lang ist, der kann ja jederzeit aufhören. Manch einen interessiert ja vielleicht sogar alles.

 

Usbekistan macht auf den ersten Blick einen freundlichen Eindruck, die Menschen wirken fröhlich, das Bild der Hauptstadt ist das einer weltoffenen Stadt. Auffallend ist jedoch eine große Polizeipräsenz. Ob in Straßen, auf Plätzen, auf Metrostationen oder im Café beim Mittagessen, Polizisten gehören zum Straßenbild. Ihr Auftreten ist jederzeit freundlich, eine besonders mächtige Ausstrahlung geht von ihnen nicht aus. Uns wurde durch ihre Anwesenheit ein Gefühl von Sicherheit vermittelt. Als Kersten und mich z.B. ein betrunkener Soldat auf einem U-Bahnhof nervte (von Belästigen kann man nicht sprechen), waren sofort zwei Polizisten zur Stelle, gaben ihm zur Begrüßung die Hand und forderten ihn auf, mitzukommen. Die ganze Angelegenheit wurde freundlich aber bestimmt abgehandelt. Wir fühlten uns wohl und der Soldat wurde offensichtlich nicht bloßgestellt.

Die übliche Präsenz der Staatsgewalt nimmt jedoch überhand, sobald etwas offiziellere Veranstaltungen stattfinden. In Samarkand z.B. eröffnete während unseres Aufenthalts ein internationales Musikfestival mit Musikgruppen aus mehr als 40 Ländern. Diese trafen sich zu einem Wettbewerb. Schon Tage vor der Eröffnung wurden immer mehr Kontrollen positioniert und bestimmte Wege im Umfeld des Registan hermetisch abgesperrt. Am Tag der Festivaleröffnung waren die Straßen um den Registan herum kilometerweit gesperrt und das Polizeiaufgebot immens. Sogar die Internetzugänge sollen an diesem Tag gekappt worden sein. Uns wurde erzählt, Präsident Karimov werde erwartet. Am Tag vor dem usbekischen Unabhängigkeitstag, dem 1. September, zeigte sich in Tashkent das gleiche Bild.

Und damit kommen wir zum eigentlichen Problem Usbekistans. Islam Karimov war bis zum Ende der Sowjetzeit erster Sekretär der usbekischen kommunistischen Partei. Im Jahre 1990 ließ er sich als Präsident wählen. Eine 1989 gegründete Gruppe Intellektueller mit 1,5 Mio. Mitgliedern wurde nicht zur Wahl zugelassen. Nach dem Putsch in Moskau im August 1991 rief Karimov am 1. September desselben Jahre die Unabhängigkeit Usbekistans aus. Die erste direkte Wahl eines Präsidenten im Dezember 1991 endete mit dem Ergebnis von 86 % der Stimmen für Karimov, eine Zahl, die Zweifel an einer freien Wahl aufkommen lässt. Der einzige Gegenkandidat (ein Schriftsteller) gehörte einer einflusslosen Partei an, die nur 12 % der Stimmen für sich gewinnen konnte. Kleinere oppositionelle Bewegungen haben sich in den folgenden Jahren immer wieder formiert, eine reelle Chance, als Opposition zu überleben, hatten sie jedoch nicht. Unterdrückung oder Verbannung führten dazu, dass Oppositionelle entweder im Untergrund leben oder im Exil in Russland, der Türkei oder Afghanistan. Die Regierungsperiode des Präsidenten wurde 1995 bis ins Jahr 2000 verlängert. Karimov regierte weiter ohne Opposition und er ist auch heute noch im Amt.

Alles, was im Land geschieht, bestimmt Islam Karimov, von durchaus gewichtigen Themen wie über die Höhe des Goldabbaus zu entscheiden bis hin zu den Gehältern der städtischen Gärtner einer Kleinstadt.

Den Islam hat Karimov verboten. (Interessanterweise ist der Vorname Karimovs „Islam“.) Wer sich öffentlich zum Islam bekennt, sei es durch Besuche in der Moschee als auch durch Äußerlichkeiten wie einen langen Bart, muss mit Unterdrückung rechnen. Der Ruf des Muezzin als Ankündigung der Gebetszeiten ist verboten. Mullahs dürfen unter einer Bedingung predigen, nämlich dann, wenn sie in ihren Gebeten die Regierung mit lobenden Worten einbeziehen.

Die Menschen halten sich wohl mehr oder weniger an diese Vorgaben. Sie machen einen eher angepassten Eindruck. Nach einem Zeitungsartikel in der taz vom 28. August 2003 ist diese Angepasstheit nicht verwunderlich, da zuweilen eine große Willkür herrscht in der Beurteilung von Menschen und deren vermeintlichen Verbrechen. So wurde ein junger Mann zum Tode verurteilt, weil man ihm vorwirft, ein islamischer Terrorist zu sein. Die Argumente für die Verurteilung sind laut diesem Bericht höchst zweifelhaft, es gäbe ausreichend Alibis, um die Unschuld des Mannes zu beweisen. Am Urteil wird dennoch festgehalten.

 

Ob die folgende Begebenheit mehr mit dem heutigen diktatorischen Regime zu tun hat oder mit der sowjetischen Vergangenheit ist schwer zu sagen. Fakt ist, dass für Geldwechsel von z.B. US-Dollar in usbekische Sum ein mittlerer Papierberg bewältigt werden muss. Bei der Einreise muss zunächst einmal auf einem Formblatt die Höhe der einzelnen Devisen aufgelistet werden. Beim Wechsel in einer der wenigen Wechselstuben der Nationalbank (andere offizielle Geldwechselmöglichkeiten gibt es in Usbekistan im Gegensatz zu Kasachstan und Kirgistan nicht) wird dann ein sog. Zertifikat mit Computer ausgedruckt, mein Pass mit Visa wird photokopiert, auf meinem bei der Einreise ausgefüllten und abgestempelten Formblatt wird der gewechselte Betrag eingetragen und dann schließlich bekomme ich die usbekischen Geldscheine.

Als ich am letzten Abend meine nicht benötigten Sum in US-Dollar zurücktauschen wollte, machte der Computer Probleme. Wartend, dass es bald klappen könnte, verbrachte ich zunächst eine gute halbe Stunde am Schalter. Eine Frage meinerseits, ob es auch handschriftlich eine Möglichkeit gebe, das Zertifikat auszustellen, wurde verneint. Ich müsse warten, bis der Computer wieder funktionieren würde. Aha, und wenn das ein paar Tage dauert... Nach weiteren 15 Minuten wurde mir vorgeschlagen, ob ich nicht noch Souvenirs kaufen wollte. Es gäbe so viele schöne Dinge zum Mitnehmen. Mein Gepäck war schon sehr schwer und das, was mir wichtig war, hatte ich bereits gekauft. Ich verneinte also. Meine Dollar bekam ich immer noch nicht. Nach einer Stunde schließlich schlugen die Damen vor, ich solle zu einem anderen Hotel gehen, in dem sich eine weitere Wechselstube befinden würde. Dort würde der Computer wohl funktionieren.

Eine Obrigkeitshörigkeit ist das. Wenn der Computer nicht geht, dann werden gewisse Vorgänge eben nicht bearbeitet. Das Ganze wäre vielleicht nicht so schlimm gewesen, wenn die Kommunikation etwas freundlicher gewesen wäre.

 

Noch etwas zum Thema Geld: Es verliert schnell an Wert in Usbekistan. Die Folge sind zu niedrige Werte der Scheine. Es sind 10er, 25er, 50er, 100er, 200er, 500er und selten 1000er-Scheine in Umlauf. Zweihundert und Fünfhundert Sum sind die gebräuchlichsten Scheine. Der Wechselkurs im August 2003 war $ 1,- zu 1000,- Sum, € 1,- zu 1100,-. Jetzt stelle man sich vor, wie das aussieht, wenn man $ 100,- in Sum eintauschen möchte. Das Bündel an Geldscheinen, das man dafür bekommt, ist schon beeindruckend. Und bis man für eine Übernachtung in einem besseren Hotel 15.000 Sum, also umgerechnet $ 15,- abgezählt hat, braucht es schon etwas Zeit. An manchen Tagen habe ich in meiner Tasche plötzlich einen Stapel Scheine gefunden, mit einem Gummiband zusammengehalten. Darüber ist man zunächst sehr erfreut, bis klar wird, dass es sich vielleicht um umgerechnet $ 10,- handelt.

Glücklicherweise musste ich nicht alle Ausgaben in usbekischer Währung bezahlen. Privatleute (in Unterkünften, Teppichhändler etc.) nehmen alle die amerikanische Währung. Nach den Gesetzen ihres Landes ist es ihnen verboten, US-Dollar zu besitzen, dennoch macht es jeder. Hier ist es dann doch nicht so weit her mit der Angepasstheit.

 

Am vorletzten Tag war Carsten mal wieder beim Friseur zum Rasieren. Siggi und ich hatten daraufhin Lust, beim Damenfriseur nebenan unsere Haare waschen und Spitzen schneiden zu lassen. Wir erkundigten uns nach dem Preis: 500 Sum ($0.50) erschien uns doch recht preiswert. Kaum willigten wir ein, bekam jede auch schon ein Handtuch in die Hand und eine Flasche Shampoo. Wir mussten also über einer Badewanne unter einem mickrigen Wasserstrahl unsere Haare selber waschen.

Das Schneiden wurde dann schon von professioneller Seite gemacht. Dann wurden wir unter die Trockenhaube gesteckt, bei 35°. Dies war die Vorbereitung für’s Frisieren. Siggi mit ihren blonden, eher dünnen Haaren wurde eine richtige Damenfrisur verpasst, mit eingedrehten Spitzen und viel Haarspray. Der Versuch, meine Haare ebenso nach innen zu drehen, schlug fehl und so wurde glücklicherweise auch kein Haarspray an mir verschwendet. Ich wurde lediglich schön gekämmt. Ein nettes Erlebnis war das schon, zeigt ein Friseurbesuch doch auch Charakteristisches eines Landes.

 

Noch eine nette Geschichte: Die Sandalen von Siggi machten schon einen sehr mitgenommenen Eindruck. Beide Sohlen waren in der Mitte durchgebrochen, eine sogar völlig und hielt nur durch die Riemen und den Fuß noch irgendwie zusammen. In Buchara, direkt am Lhabi Hauz, dem Bad mit uralten Maulbeerbäumen drum herum (im 15. Jahrhundert gepflanzt), saß ein junger Mann und wies sich als Schuhmacher aus. Mehr aus Spaß sagte ich zu Siggi, dort könne sie ja ihre Schuhe reparieren lassen. Sie willigte ein. Der Schuhmacher kriegte sich nicht mehr ein, als er die Schuhe sah. Aber seine Idee war blendend: Mit einem dicken Zwirn verband er mit großen Stichen hin und her beide Schuhhälften und Siggi konnte die Wege der letzten Tage in deutlich besserem Tragekomfort zurücklegen.

 

Der Bus von Kara Balta nach Tashkent war für kirgisische Verhältnisse ein moderner Bus. Es war ein Mercedes, der die Aufschrift „Donau-Tours“ trug. Dieser Bus war bei weitem nicht der einzige, der früher mal in Deutschland fuhr. Wir sahen viele solcher Busse, häufig auch PKW, die Schriftzüge oder Aufkleber mit dem D-Zeichen nicht entfernt hatten.

 

Tashkent, Samarkand und Buchara sind Universitätsstädte. Offensichtlich lernen viele Studenten Englisch. So erlebten wir des öfteren die Situation, dass wir von jungen Leuten angesprochen wurden. Der Grund war folgender: Sie wollten durch ein längeres Gespräch mit uns ihre Englischkenntnisse verbessern. Nachdem ich ohne Kersten nach Samarkand zurückgekommen war und alleine vor dem Registan auf meine Mitreisenden wartete, wurde ich sofort in ein Gespräch verwickelt. Eigentlich war ich müde und wollte eher für mich sein. Es wurde mir jedoch schnell klar, dass dies an diesem Ort nicht möglich sein würde. So unterhielt ich mich eben, auch aus dem Grund, da ich nun sozusagen versorgt war und nicht von weiteren jungen Leuten in Gespräche einbezogen werden konnte.

 

Wie sah nun ein Wandertag im Gebirge aus?

Meist wachten wir zwischen 8.00 Uhr und 9.00 Uhr auf. Erst dann war überhaupt daran zu denken, das Zelt zu verlassen, da es nachts in Höhen zwischen 3000 m und knapp 3700 m doch recht kalt war (in den höheren Lagen in jedem Fall unter Null). Wenn noch Wasser vom Vortag da war, machten wir uns mit unserem Benzinkocher Wasser heiß. Es wurde für Tee benötigt sowie für unser Müsli mit Milchpulver. Anschließend räumten wir das Zelt leer und packten alles zusammen. Dabei spielte der Fakt, ob das Zelt bereits getrocknet war, die größte Rolle. Nur am Anfang hatte es noch nachts geregnet. Durch Kondenswasser wird jedoch bekanntlich das Außenzelt sowohl von innen als auch von außen nass. Wir hatten das Ziel, immer erst dann loszuwandern, wenn das Zelt getrocknet war. Dies gelang sogar.

Die täglichen Teilstrecken waren sehr unterschiedlich lang. Es gab immer eine längere Mittagspause an einem schönen Platz, wo wir es uns gemütlich machen konnten, essen, lesen oder dösen konnten.

Sobald wir am Nachmittag einen Lagerplatz gefunden hatten, bauten wir unsere Zelte auf und organisierten Wasser. War der Bach direkt neben den Zelten, so war dies unproblematisch. War der Bach eine ganze Ecke entfernt, so wurden alle verfügbaren Flaschen und Wasserbeutel zusammengesucht und ein oder zwei Personen holten knapp 20 Liter Wasser. Damit kamen wir bis zum nächsten Tag gut über die Runden. Das Zelt wurde eingerichtet: Isomatte aufblasen, Schlafsack ausrollen, Schlafklamotten auspacken, Kochzubehör auspacken, Lebensmittel auspacken, wichtige Utensilien wie Taschenlampe, Taschentücher, Waschzeug, Handtuch, Reisetagebuch, Buch zum Lesen etc. gut erreichbar ins Zelt legen. Meistens noch vor dem Abendessen habe ich mich am Bach gewaschen und schon die Klamotten für die Nacht angezogen. Später, besonders wenn es ohne die Sonne schnell kalt wurde, war das zu ungemütlich.

Dann wurde gekocht. Unser Kocher machte fast die gesamte Wanderung über nicht so richtig mit, sodass es einiger Geduld bedurfte, ihn zu bedienen. Ecki kümmerte sich liebevoll um unser Kochgerät und war somit auch unser Koch Nr. 1. Wir hatten die Reisegruppe in zwei Kochteams eingeteilt. Kersten, Ecki und ich kochten zusammen sowie Siggi, Carsten und Andree. Unser Grüppchen hatte sich entschieden, uns überwiegend mit den vermeintlich leichten Trekkingtüten (da der Inhalt gefriergetrocknet) aus dem Outdoor-Laden zu verpflegen. So gab es z.B. Indonesisches Curry-Huhn mit Gemüse und Reis, Chili con Carne oder Indisches Huhn mit Gemüse und Nudeln. Wir hatten jedoch auch Bulgur und Cous-Cous mit, das mit Tütchen-Soße und gefriergetrocknetem Gemüse eine leckere Mahlzeit ausmachte. Von unseren Trekking-Mahlzeiten waren eigentlich nur das Indonesische Curry-Huhn sowie Chili con Carne gut genießbar. Bedeutend leichter als das Essen unserer Kolleginnen und Kollegen, bestehend aus Nudeln, Suppen, Soßen, Salami und Knoblauch waren die Tüten wohl nicht und sie waren sehr teuer. Mit Sicherheit haben sie Brennstoff gespart, denn der Inhalt musste nur in kochendes Wasser eingerührt werden und anschließend ziehen. Aber dieser Vorteil wiegt die Nachteile nicht auf. Das nächste Mal geht es also wieder konventioneller zu. Das wurde uns dreien klar.

Je nach Außentemperatur saßen wir nach dem Abendbrot noch bei einer Tasse Tee vor dem Zelt oder eben auch im Zelt. Jetzt wurde Tagebuch geschrieben, gelesen, geredet oder die Natur betrachtet. Dunkel wurde es ungefähr um 21.00 Uhr. Dann haben wir meistens auch bald geschlafen oder eben bei Taschenlampenlicht weitergelesen.

 

Wie lebt eine Familie in Kirgistan oder Usbekistan?

Die Häuser auf dem Land oder in kleinen Städten sind entweder aus Holz gebaut oder aber aus Lehmziegeln. Diese Bauweise ist weit verbreitet. Sie erscheint uns sehr aufwändig, da jeder einzelne Ziegel zunächst in Handarbeit hergestellt werden muss. Einzeln stehende Häuser haben einen Garten um’s Haus und in der Regel einen hohen Zaun zur Straße hin. In den Altstädten von Samarkand und Buchara sind die Häuser häufig mit den Nachbarhäusern zusammen gebaut. So geht man zunächst durch ein Tor in den Innenhof und betritt das Haus erst dann. Durch diese Bauweise kommt dem Innenhof eine große Bedeutung zu. Hier spielt sich das Leben der Familie und der Nachbarn ab. Hier wird in den Sommermonaten gegessen und geredet oder der Raum wird als Schlafzimmer genutzt.

Die Familie setzt sich nicht nur aus der Kernfamilie zusammen. Entweder wohnt die Schwester mit im Haus oder der Bruder. Natürlich leben auch die Eltern bei ihren Kindern, wenn sie alt sind. Häufig kommen Verwandte oder Nachbarn zu Besuch. Dann werden Neuigkeiten ausgetauscht.

 

Wer arbeitet in einer usbekischen oder kirgisischen Familie?

Vielfach sind es die Frauen, die sich in finanzieller Hinsicht um die Familie kümmern. Diese Aussage gilt für Tashkent mit Sicherheit nur eingeschränkt oder gar nicht. Auf dem Land jedoch oder in kleineren Städten verkaufen die Frauen auf den Bazaren, betreiben Frauen Cafés oder kleine Restaurants, organisieren Frauen ihre kleinen privaten Hotels und so manches mehr. Dies liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit an den vielen Alkoholproblemen der Männer in den Ländern der ehemaligen UdSSR.

 

Einige Worte zum Essen: Eine sehr wichtige Speise ist die Suppe. Es gibt sie in verschiedensten Varianten: Mit Gemüse, mit Nudeln, mit Fleisch, alles zusammen, kalt mit saurer Sahne usw. Ein sehr leckeres Gericht ist Plov. Hier handelt es sich um eine Reispfanne. In einer großen gusseisernen Pfanne wird Reis gebraten und ein Stück Hammelfleisch gegart sowie feinste Möhrenstreifen und Kircherbsen. Vom großen Stück Hammel kommen auf jede Portion Plov einige kleine Stücke Fleisch. Die bereits erwähnten Schaschlik-Spieße, zumeist Hammelfleisch u.a. mit Koriander gewürzt, werden auf einem ganz schmalen Grill zubereitet. Die Spieße sind gerade so lang, dass sie am oberen und unteren Ende auf dem Rahmen des Grill aufliegen können und das Fleisch somit optimal gegart werden kann.

Sehr lecker sind die frischen Fladenbrote, die sich je nach Gegend leicht unterscheiden. Direkt aus dem Steinofen sind sie natürlich besonders köstlich. Teigtaschen, Manty oder Samsa, meist mit Fleisch und Zwiebeln gefüllt, sind eine leckere Zwischenmahlzeit. Das Angebot an Obst ist großartig. Ob Trauben, Pfirsiche, Aprikosen, Nektarinen, Äpfel, Birnen, Beeren oder Melonen, alles ist frisch, saftig und sehr aromatisch. Besonders Honigmelonen haben wir mit Genuss verzehrt. Sie sind um ein Vielfaches größer als wir sie kennen und im Geschmack nicht vergleichbar. Getrunken wird in der Regel Grüntee. Die zentralasiatische Küche bietet keine überwältigende Vielfalt an Gerichten und sie ist eher deftig. Wer damit klar kommt und Fleisch mag, hat in kulinarischer Hinsicht in jedem Fall eine gute Zeit. Wie gesagt, die Berge an Obst, Nüssen, Trockenobst und besonderen Köstlichkeiten wie geröstete Kichererbsen oder in Sesam geröstete Erdnüsse, um nur einige zu nennen, lassen einen nicht verhungern. Die Hygiene ist im Zusammenhang mit Essen kein größeres Problem. In Restaurants und Cafés sieht alles sauber und gepflegt aus. Auch das Wasser in den Städten ist wohl einigermaßen in Ordnung. Bei Obst stellt sich natürlich die Frage, ob man Birnen, Trauben oder Pfirsiche überhaupt essen soll. Ob man sie waschen soll oder lieber nicht. Wir haben alles gegessen. Wir hatten zwar auch einige Verdauungsprobleme, wobei hier wohl nicht nur unsauberes Wasser eine Rolle spielte, sondern z.B. auch ungewohnte Gerichte oder Gewürze.

 

Damit wären wir beim Thema Einkauf. Geschäfte gibt es so gut wie keine (außer Apotheken). Eingekauft wird in Zentralasien auf dem Bazar. Hier können nicht nur sämtliche Lebensmittel gekauft werden, sondern alles, was im Haushalt notwendig ist, aber auch Stoffe, Schuhe, Hygieneartikel, kleine Elektrogeräte, Bürobedarf ... eben alles. Die meisten Produkte haben hier wohl einen festen Preis. Gehandelt wird auf dem Bazar eher selten. Ich habe es nur dann gemacht, wenn mir der Preis, den ich zahlen sollte, zu eindeutig ein Touristenpreis war.

Überall, wo nur Touristen einkaufen, gehört das Handeln zum Kaufvorgang dazu. Der erstgenannte Preis ist offensichtlich so angelegt, dass noch ein deutlicher Spielraum bleibt. Inwiefern dieser Spielraum auch genutzt wird, liegt an den Fähigkeiten des Käufers. Glücklicherweise sprechen die Händler, die Töpferware, Seidenschals, Teppiche, Kissenbezüge usw. verkaufen, zumeist ein wenig Englisch. Ich war jedenfalls nur ansatzweise in der Lage, die durch die Inflation sehr großen Beträge und damit verbundenen hohen Zahlen auf Russisch zu verstehen.

 

 


 

Jetzt gibt’s noch einige Infos und Fakten zu den bereisten Ländern.

 

Kasachstan

Größe:                         2.717.000 Quadratkilometer (8-mal so groß wie Deutschland)

Einwohner:                16 Millionen

Hauptstadt:                Astana (im Norden) mit 400.000 Einwohner

Grenzen mit:              Russland im Norden und Westen, China im Osten, Kirgistan im Südosten, Usbekistan im Süden

 

Die größte und wichtigste Stadt ist die ehemalige Hauptstadt Almaty im Südosten mit 1,5 Mio. Einwohnern.

 

Kirgistan

Größe:                         198.000 Quadratkilometer (Deutschland ist 1,8 mal größer)

Einwohner:                5 Millionen

Hauptstadt:                Bishkek mit 800.000 Einwohnern

Grenzen mit:              Kasachstan im Norden und Westen, China im Osten und Süden, Usbekistan im Südwesten

 

Usbekistan

Größe:                         447.000 Quadratkilometer (1,3 mal größer als Deutschland)

Einwohner:                24 Millionen

Hauptstadt:                Tashkent mit 2 Millionen Einwohnern

Grenzen mit:              Kasachstan im Norden, Kirgistan im Osten, Afghanistan im Südosten, Tadschikistan im Südosten, Turkmenistan im Süden, Kasachstan im Westen

 

 

 

Nun ist’s aber genug. Ein herzliches Dankeschön für’s „Zuhören“.

 

 

Ulrike Benkart                                                                                            Norderstedt, September 2003